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Brexit und Recht

Zertifizierungen

Zahlreiche europäische Zertifizierungen sind vom Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU betroffen, allen voran die bedeutende CE-Kennzeichnung.

CE-Kennzeichnung

Die CE-Kennzeichnung bescheinigt, dass Produkte die europäischen Richtlinien bezüglich der Sicherheits-, Umwelt- und Gesundheitsanforderungen erfüllen. Nur mit Kennzeichnung dürfen die entsprechenden Produkte innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes in Umlauf gebracht werden.
Oftmals verzichten Unternehmen auf eine sogenannte Selbstverifizierung und lassen ihre Produkte von zugelassenen Instituten prüfen, die dann eine entsprechende Konformitätserklärung ausstellen. In einigen Bereichen wie beispielsweise medizinischen Produkten ist die Kontrolle durch eine unabhängige zugelassene Prüfstelle sogar Gesetz.
Britische Prüfinstitute werden nach dem Austritt ihren Status als notifizierte Stelle verlieren und keine Konformitätsbewertungs-Verfahren mehr durchführen können. Dadurch verlieren diese dort bislang zertifizierten Produkte ihre Zulassung in den EU-27 Staaten. Denn diese Prüfstellen („notifizierte Stellen“) müssen ihren Sitz in einem EU-Staat haben und von der Regierung dieses Staates autorisiert worden sein. Unternehmen sollten sich daher an eine notifizierte Stelle innerhalb der EU wenden. Das bedeutet aber auch, dass von britischen Prüfinstituten ausgestellte Zertifikate nach dem Brexit ihre Gültigkeit verlieren. Unternehmen, die bisher im VK zertifizierte Produkte innerhalb der EU verkaufen, müssen rechtzeitig sicherstellen, dass die Verantwortlichkeit für das Zertifikat auf eine in einem EU-Mitgliedsstaat anerkannte Prüfstelle übertragen werden kann.

Die Europäische Kommission hat bereits eine unverbindliche Übersicht von Waren- und Produktgruppen erstellt, die davon betroffen sind.

Produktnormen, Standards und Ausfuhrgenehmigungen

Nach dem Brexit könnten bisher gültige Produktnormen, Standards und Ausfuhrgenehmigungen ihre Gültigkeit verlieren. In einem solchen Fall ist davon auszugehen, dass das Vereinigte Königreich neue Gesetzesgrundlagen bezüglich Aspekten wie Gesundheit, technische Sicherheit, Hygiene oder Kennzeichnung von Produkten schafft. Dadurch können auf deutsche Unternehmen, die ihre Produkte in Großbritannien anbieten, Mehrkosten zukommen.

Verträge mit britischen Geschäftspartnern

Der Brexit hat Konsequenzen auf zahlreiche Verträge von Unternehmen, die Bezug auf Großbritannien nehmen – sowohl auf bestehende als auch auf neue Verträge. Hintergrund ist, dass eine Vielzahl von Verträgen EU-weite Territorialvereinbarungen enthält oder an europäisches Recht anknüpft.
Neue und laufende Verträge sollten deshalb hinsichtlich der mit dem Brexit verbundenen Risiken ‎genau überprüft werden.‎

Anwendbares Recht – Rechtswahlvereinbarungen

Rechtswahlvereinbarungen aus laufenden Verträgen werden grundsätzlich weiterhin Bestand haben. Für den Fall, dass keine Rechtswahl getroffen wurde, wird das anwendbare Recht für Vertragsverhältnisse, im Falle eines EU-Austritts, nicht mehr durch die Rom I-Verordnung bestimmt werden, sondern durch die jeweils nationalen Vorschriften des internationalen Privatrechts.

Beachten sollte man auch, dass eine zugunsten des englischen Rechts getroffene Rechtswahlklausel im Brexit-Fall, anders als bislang, nicht mehr automatisch auch die Wahl des EU-Rechts beinhalten wird. Dieser Umstand kann, je nach Vertragsgegenstand, zu einer erheblichen Veränderung des Vertrages führen. Die englischen Gerichte werden Jahre brauchen, um den Vertragspartnern Sicherheit über die Auslegung derartiger Verträge zu gewährleisten. Insoweit sollte wohl überlegt sein, ob im Vertrag die Anwendung englischen Rechts, oder nicht eher eine andere Rechtsordnung vereinbart wird.

Internationale Zuständigkeit von Gerichten – Gerichtsstand

Innerhalb der EU gilt derzeit die Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungs-VO (EuGVVO) als unmittelbar anwendbares Recht in allen Mitgliedstaaten. Sie regelt nicht nur die internationale Zuständigkeit von Gerichten bei grenzüberschreitenden Verträgen, sondern enthält auch Vorgaben für die gegenseitige Vollstreckung von in der EU ergangenen Urteilen. In grenzüberschreitende Verträge empfiehlt sich in jedem Fall, eine Gerichtsstandsvereinbarung aufzunehmen. Die Frage, wo eine Urteilsvollstreckung im Streitfall stattfinden soll, wird künftig noch größere Bedeutung für die Wahl des Gerichtsstands haben als heute. In Bezug auf Großbritannien wird man sich künftig nicht mehr auf die automatische gegenseitige Vollstreckbarkeit von Urteilen verlassen können, wenn Großbritannien im Falle eines EU-Austritts nicht langfristig der EuGVVO vergleichbare Regelungen umsetzt.

Räumlicher Geltungsbereich und Territorialvorschriften in Verträgen

Im Fall eines Brexit sind zudem Auslegungsunsicherheiten in Verträgen zu befürchten, die Regelungen mit Territorialbezug enthalten, wie etwa Lizenzverträge oder Vertriebsvereinbarungen. Wurden Verträge vor dem Brexit abgeschlossen und wird in diesen das Gebiet der EU (-Mitgliedstaaten) als räumlicher Geltungsbereich genannt oder ist darin von „EU-weiter“ Geltung die Rede (z.B. für die Zuordnung von Vertriebsrechten), wird man sich fragen, ob hiermit eine rein geographische Beschreibung gemeint ist. Dann wäre Großbritannien möglicherweise unabhängig von einem Brexit umfasst. Man könnte aber auch davon ausgehen, dass lediglich Mitgliedstaaten der EU in den Geltungsbereich des Vertrages einbezogen werden sollen. Letztere Alternative führt dann zu der weitergehenden Frage, ob auf den Stand der EU-Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen sein wird, oder der jeweils aktuelle Stand der EU-Mitgliedstaaten gemeint ist. Je nachdem wird sich das Folgeproblem stellen, dass betroffene Verträge gegebenenfalls nicht mehr planmäßig durchgeführt werden könnten und der Vertragspartner zur vorzeitigen Auflösung des Vertrags berechtigt wäre.

In neu abzuschließenden Verträgen sollten die Parteien deshalb eindeutig festlegen, ob Großbritannien zum räumlichen Geltungsbereich gehören soll oder nicht.

Altverträge

Unternehmen sollten ihre laufenden Verträge in Bezug auf die Beziehungen zum Vereinigten Königreich überprüfen und gegebenenfalls im Wege einer Nachtragsvereinbarung anpassen. Insbesondere betroffen sind folgende Abschnitte eines Vertrags:
  • Wahl des geltenden Rechts
  • Gerichtsstandsvereinbarung, Schiedsklausel
  • Definition des EU-Territoriums (Bsp. Vertriebsrechte)
  • Mehrkosten durch Zölle oder Währungsschwankungen
  • CE-Kennzeichnungen und EU-Normen
  • Arbeitnehmerfreizügigkeit
Eine Kündigung bereits existierender Verträge ist aufgrund des Brexit wahrscheinlich nicht möglich, da der Austritt Großbritanniens aus der EU vertragsrechtlich nicht als Fall von höherer Gewalt angesehen werden dürfte. In Einzelfällen könnten der Wegfall des gemeinsamen Binnenmarktes und der Zollunion unter bestimmten Umständen als Wegfall der Geschäftsgrundlage angesehen werden und somit eine Kündigung des Vertrags rechtfertigen. Das haben allerdings im Einzelfall die Gerichte zu entscheiden. Die Rechtslage ist diesbezüglich noch sehr ungewiss.

Neuverträge

Neue Verträge mit dem Vereinigten Königreich sind Neuland: Da für das im Vertrag anwendbare Recht Vertragsfreiheit besteht, ist nun die Frage, für welches Recht (deutsches oder englisches) sich die Vertragspartner entscheiden. Aufgrund der größeren Rechtsunsicherheit im Vereinigten Königreich raten viele deutsche Kanzleien ihren Mandaten zu deutschem Vertragsrecht, auch wegen der weiter bestehenden EU-Mitgliedschaft.

Empfehlenswert für neue Verträge sind wegen der Unsicherheit der rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sogenannte Brexit-Klauseln: Die Vertragsparteien könnten z.B. vereinbaren, den Vertrag nach dem de-facto-Austritt zu kündigen oder in kürzerem Abstand Preisanpassungen vorzunehmen.

Bei laufenden Vertragsverhandlungen sollten auch unbedingt Klauseln in den Vertragstext aufgenommen werden, die klarstellen, wer die durch den Brexit verursachten Mehrkosten übernimmt.

Eine weitere Möglichkeit ist, neue Verträge überhaupt nur kurzfristig einzugehen, nämlich bis zum de-facto-Austritt, und neue Verträge abzuschließen, wenn die rechtlichen Bedingungen deutlich geworden sind.

Bestehende Verträge mit britischen Geschäftspartnern sollten zu einem geeigneten Zeitpunkt auf die neuen Rahmenbedingungen angepasst werden. Zu den zu überprüfenden AGB-/ Vertragsklauseln zählen u. a. die Wahl des geltenden Rechts und des Gerichtsstands und die Definition des „Gebiets der EU“ (bei Lizenz- oder Vertriebsverträgen). Ggf. sind auch Vertragsergänzungen zum Ausgleich von Zöllen, zur Währungsabsicherung sowie zur Vertragsauflösung zu prüfen. Vertragliche Regelungen zu CE-Kennzeichnungen sowie EU-Normen müssen ebenfalls neu definiert werden (s. o.). Bei Dienstleistungs-, Arbeits- oder Handelsvertreterverträgen sind Neuregelungen bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit oder der Dienstleistungserbringung zu beachten.

Weitere Informationen finden Sie hier.

Gesellschaftsrecht

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Niederlassungsfreiheit sind britische Gesellschaften, wie z. B. die Limited (private limited company) mit Verwaltungssitz in Deutschland anzuerkennen.

Hier finden Sie weitere Informationen der IHK Saarland zum Thema Limited.

Unternehmensteuern

UK verfügt über einen geringen Unternehmenssteuersatz von derzeit 19 Prozent (ab 1. April 2020 17 Prozent) und ein weites Netz an bilateral vereinbarten Doppelbesteuerungsabkommen. Derzeit erleichtert die sogenannte EU-Mutter-Tochter-Richtlinie die grenzüberschreitende Zahlung von Gewinnausschüttungen zwischen verbundenen Unternehmen. Die EU-Richtlinie gibt hier vor, dass es zu keinem Quellensteuerabzug beim zahlenden Unternehmen bzw. zu keiner Mindestbesteuerung beim empfangenden Unternehmen kommen darf. Daneben bestehen weitere Quellensteuerbefreiungen, z. B. bei Zins- und Lizenzzahlungen innerhalb der Konzerne. Die Ansässigkeit in der EU/EWR ist an mehreren Stellen des Außensteuergesetzes (AStG) Anwendungsvoraussetzung, z. B. für die Stundung der Wegzugsbesteuerung oder beim Entlastungsbeweis bei ausländischen Familienstiftungen etc. Folge des Brexit können zusätzliche Steuerbelastungen sein.